Schritte auf dem Weg… zur neuen Rekonstruktion der mittelalterlichen Synagoge

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Eine Runde aus 13 Expert*innen beriet sich am 10. September 2020 in der Aula des Römisch-Germanischen Museums im Belgischen Haus (Abb. 1). Der Coronasituation angemessen nutzte etwa die Hälfte der Wissenschaftler*innen die technisch ausgereiften Möglichkeiten über das Internet an der Besprechung teilzunehmen, die übrigen fanden sich vor Ort und in angemessenem Abstand im gut gelüfteten Raum ein: Forscher*innen aus dem Team der Architekten der TU-Darmstadt, FG Digitales Gestalten, von Heberer Baugutachten in Rohrbach, der Archäologischen Zone der Stadt Köln und vom MiQua sowie Professoren für Kunst- und Baugeschichte aus Kiel und Köln diskutierten die Fragen, die das Rekonstruktionsprojekt bis zum jetzigen Zeitpunkt aufgeworfen hat.

Teilnehmer*innen der Diskussion. Foto: Sebastian Ristow / LVR

Ein Schwerpunkt des entstehenden Films zur mittelalterlichen Synagoge, die 1956 und seit 2007 auf dem Kölner Rathausplatz ausgegraben worden ist und Kernbestandteil vom MiQua sein wird, ist die Innenausstattung des Gotteshauses (Abb. 2). Im Zentrum des Raumes stand die Bima, notwendig zur liturgischen Lesung, und im Osten des Gebäudes der Toraschrein, Aufbewahrungsort der Torarollen. Im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts war die Synagoge des 11. Jahrhunderts offensichtlich neu ausgestattet worden und erhielt in der Mitte des Gebäudes eine neue, schmuckvolle gotische Bima. Sie weist Gemeinsamkeiten mit der ebenfalls zu dieser Zeit gefertigten Innenausstattung des nahe gelegenen Kölner Domes auf. 1349 wurde die gesamte Dekoration des Synagogeninnenraums während des Pogroms zerstört und teils in kleinste Stücke zerschlagen, die jedoch durch die Ausgrabungen gesichert werden konnten und künftig im MiQua zu sehen sein werden. Die Fragmente waren seinerzeit in einem ersten Arbeitsschritt gescannt worden. Der jetzt in Darmstadt entwickelte Film platziert die virtuellen Fragmente in dem virtuellen Gesamtkorpus der Bima an den Stellen wo ihre Position angenommen werden kann und nähert sich bei den nicht erhaltenen Teilen den Wahrscheinlichkeiten gotischer Architekturkonzepte an.

Arbeitsstand zum Blick in den Innenraum der Synagoge. © TU Darmstadt, FG Digitales Gestalten

Norwina Wölfel von der TU Darmstadt und Tina Schöbel von Heberer Baugutachten stellten ihre Arbeit an der Bimarekonstruktion im Detail vor. Die Bestandsprüfung und Verortung der ca. 280 Fragmente ergab eine zweitstöckige gotische Maßwerkarchitektur (Abb. 3). Im Vergleich zum vorherigen Arbeitsstand ergaben sich einige Änderungen, wie etwa der Tausch der Basen in der unteren Reihe mit denen der oberen. In weiteren Schritten wurden aus den zum Teil sehr kleinen archäologischen Funden das Maßwerk und die Ecklösung entwickelt. Viele Bereiche konnten so aus den Funden abgeleitet werden und sind als Beleg im virtuellen Modell sichtbar präsentiert.

Arbeitsstand zur Rekonstruktion der Bima. © TU Darmstadt, FG Digitales Gestalten

Die Diskussion im Römisch-Germanischen Museum erbrachte Arbeitsaufgaben und Material für jetzt noch neu zu gestaltende Bereiche. Sie trägt dazu bei, die wahrscheinlichsten Möglichkeiten der jeweiligen Rekonstruktionsbereiche herauszufinden und dort, wo kein Befund vorliegt, aber im Museum auch etwas gezeigt werden muss, den einfachsten Standard zu zeigen, damit keine Lücken in der simulierenden Rekonstruktion entstehen. Keine Befunde sichern etwa den Innenboden der Bima ab. Es kann ein Fliesen- oder aber auch ein Steinplattenboden gewesen sein.

Aktuell tauschen sich die Wissenschaftler*innen weiter aus. Ein nächster Termin noch in diesem Jahr soll letzte Unklarheiten möglichst beseitigen, sodass zum Ende 2020 eine erste Version dieses für MiQua zentralen Filmes vorliegen wird. Bis zur Eröffnung können aber noch Änderungen und Erweiterungen eingebracht werden, um künftige Forschungen mit zu berücksichtigen.

Ein Beitrag von Sebastian Ristow, wissenschaftlicher Referent für die Archäologie des 1. Jahrtausends im MiQua.

Das Beitragsbild zeigt ein Fragment der sogenannten Bima, der Lesekanzel in der mittelalterlichen Synagoge. Foto: Stefan Arendt / LVR-Zentrum für Medien und Bildung

Steps towards… a new reconstruction of the medieval synagogue

A group of 13 experts met on 10th September 2020 in the auditorium of the Romano-Germanic Museum in the “Belgian House” (Fig. 1). Due to the COVID-19 situation, about half of the scientists took advantage of the technically sophisticated possibilities to participate in the meeting via the internet, while the rest gathered on site and at an appropriate distance from each other in the well-ventilated room. Researchers from the team of architects from the TU-Darmstadt, FG Digitales Gestalten, from Heberer Baugutachten in Rohrbach, the Archaeological Zone of the City of Cologne and from MiQua, as well as professors of art and architectural history from Kiel and Cologne discussed the questions that the reconstruction project has raised up to this point.

Fig. 1: Participants of the discussion

One focus of the emerging film on the medieval synagogue is the interior of the place of worship (Fig. 2). The synagogue was excavated in 1956 and again since 2007 on Cologne’s Rathausplatz and will be a core component of MiQua. In the centre of the room was the bima for the liturgical reading, and in the east of the building the Torah shrine, repository of the Torah scrolls. In the last third of the 13th century, the 11th century synagogue had apparently been refurnished and received a new, ornate Gothic bima in the centre of the building. It shows similarities with the interior decoration of the nearby Cologne Cathedral, which was also fabricated at this time. In 1349, the entire decoration of the synagogue interior was destroyed during the pogrom and partly smashed into the smallest pieces, which, however, could be secured by the excavations and will be on display in MiQua in the future. In a first step, the fragments were scanned. The film that was now developed in Darmstadt places the virtual fragments in the virtual overall corpus of the bima at the points where their position can be assumed and approaches the probabilities of Gothic architectural concepts for the parts that have not been preserved.

Fig. 2 Current work status, view into the interior of the synagogue

Norwina Wölfel from the TU Darmstadt and Tina Schöbel from Heberer Baugutachten presented their work on the bima reconstruction. The inventory and location of the approximately 280 fragments revealed a two-storey Gothic tracery architecture (Fig. 3). Compared to the previous state of work, some changes resulted, such as the exchange of the bases in the lower row with those in the upper row. In further steps, the tracery and the corner solution were developed from the archaeological finds, some of which were very small. Many areas could thus be derived from the finds and are visibly presented as evidence in the virtual model.

Fig. 3: Current work status of the reconstruction of the bima

The discussion in the Romano-Germanic Museum yielded working tasks and material for areas that now still need to be redesigned. It helps to find out the most probable possibilities of the respective reconstruction areas. Furthermore, there are places in the museum where there are no findings – here we will be able to show the simplest standard so that there are no gaps in the simulating reconstruction. No findings, for example, secure the inner floor of the bima. It may have been a tiled floor, or a stone slab floor.

The scientists are currently continuing their exchange of ideas. A next meeting before the end of the year should eliminate the last ambiguities as far as possible, so that a first version of this film, which is elementary for MiQua, will be available by the end of 2020. Until the opening of the museum, however, changes and extensions can still be made in order to take future research into account.

A contribution by Sebastian Ristow, curator of archaeology at MiQua.

The contribution picture shows a fragment of the so-called bima, the reading pulpit in the medieval synagogue. Photo: Stefan Arendt / LVR Center for Media and Education

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