Ein Beitrag von Ertan Özcan, Archäoinformatiker bei der Archäologischen Zone der Stadt Köln
Seit 2007 wurden bei der noch laufenden Grabung der Archäologischen Zone der Stadt Köln bis dato über 450 Stücke beschriftete mittelalterliche Schiefertafeln gefunden. Die meisten dieser Tafeln stammen aus den Brandschuttschichten des so genannten Pest-Pogroms aus dem Jahr 1349. Die meist hebräische Schrift und die Bilder wurden mit einem spitzen Griffel auf die Oberfläche geritzt. Dabei sind die feinen Ritzlinien manchmal so blass, dass sie mit bloßem Auge kaum oder nur unter Schräglicht zu erkennen sind.
Im April 2017 fand ein Projekt in Kooperation mit der Uni Leuven [2] zum Zweck des Scannens dieser Tafeln mittels des Portable Light Dome-Systems (PLD) statt. Ziel war es, die Inhalte der Tafeln besser sichtbar und lesbar zu machen.

Unter den Systemen der digitalen Funddokumentation ist der PLD-Scan relativ neu im Bereich der historischen Datenverarbeitung, so dass die Durchführung des Projekts als Testphase zu verstehen ist. Eine detaillierte Einführung in die verschiedenen Aufnahmemethoden befindet sich im Bericht mit den Fallbeispielen.

Zielsetzung des Projekts ist der Scan der Schiefertafeln sowie die darauf folgende Aufnahme in die Datenbank zur Inventarisierung der Ausgrabungsfunde. Damit kann das PLD System in ganz neuer Nutzung Wissenschaftler*innen bei der digitalen Archivierung der historischen Funde helfen. Es soll getestet werden, ob Abbildungen u. Ä. , die mit dem bloßen Auge nicht erkennbar waren, durch den Scan erkennbar werden.
Technische Voraussetzung/ Equipment
Um das PLD System nutzen zu können, wurden drei Mitarbeiter*innen [3] des Teams der Archäologischen Zone einer ganztägigen Schulung durch einen Mitarbeiter der Uni Leuven unterzogen. Das PLD System wurde von der Uni für einen begrenzten Zeitraum angemietet.
Das PLD System besteht aus zwei Hauptkomponenten: einem Portable Light Dome-Scanner und einem PC mit der benötigten Software.
Portable Light Dome (Lichtscanner)
Der PLD-Scanner besteht aus einer speziellen Kamera, einem USB Controller, einem so genannten Lichtdom und einem Laptop oder PC.
Als Beleuchtungsquelle wurde die Innenseite des Doms mit 2282 kleinen LED-Lämpchen mit 4000° Farbtemperatur ausgestattet. Sie sorgen für eine neutrale Weißfarbe während der Aufnahmen. Man benötigt die zahlreichen Einzellichter, um die Tafeln aus unterschiedlichen Winkeln anzustrahlen und die feinen Ritzlinien durch die Schlagschatten sichtbar zu machen. So werden von jeder Tafel Einzelfotos mit unterschiedlicher Belichtung gemacht. Indem die Einzelaufnahmen später am Computer zusammengerechnet werden, kann die Schrift optimal herausgearbeitet werden. So erhält man ein Ergebnis, dass besser ist, als das, was man mit bloßem Auge erkennen kann.
Die Tafeln
Insgesamt wurden 160.000 Schiefertafeln (Stand 2017) aufgefunden. Die meisten davon sind unbeschriftet. Im Projekt wurden 296 Stücke untersucht. Das sind die Stücke mit Graffiti, die bis zum Beginn des Projekts bekannt waren. In der Zwischenzeit sind noch viel mehr Stücke hinzugekommen. Die Fragmente sind zumeist die Reste einer ursprünglich größeren Tafel, einige Stücke sind auch vollständig enthalten. Es handelt sich in der Regel um Dachschieferplatten. Diese wurden in Zweitverwendung als Schreibmaterial wiederverwendet. Grundsätzlich kann man die Schiefertafeln inhaltlich in drei Themenkreise unterteilen:
1. Inschriften: Hebräische Schriftzeichen. Zum Teil handelte es sich um Schreibübungen des hebräischen Alphabets, zum Teil aber auch um Namenslisten oder Texte aus dem Geschäftsleben.

2. Figürliche Darstellungen: zum Beispiel Tierdarstellungen oder Karikaturen.
3. Diverse andere Graffito: zum Beispiel nicht näher definierbare Kritzeleien oder Strichlisten.

Der Scan
Die Tafeln wurden beidseitig gescannt, das bedeutet, dass eine PLD Datei durchschnittlich zwei Scans pro Tafel enthält. Zusätzlich wurden diese Aufnahmen unterschiedlichen Bildbearbeitungs-Filtern unterzogen, um die Ergebnisse zu verdeutlichen. Um die Darstellung der unterschiedlichen Linseneinstellungen fassbar zu machen, wurden diese zu insgesamt elf Stufen zusammengefasst.
Der für das endgültige Ergebnis entscheidendere Faktor ist jedoch vielmehr die Oberflächenbeschaffenheit des Objektes. Eine glatte Oberfläche bedarf grundsätzlich einer anderen Auflösung als eine aufgeraute, um zum gleichen Ergebnis zu gelangen. Glänzende Oberflächen erschweren durch den Spiegeleffekt jede fotogrammetrische Aufnahme.
Besonders wichtig für das Ergebnis der Scans ist außerdem die Tiefe der jeweiligen Ritzungen. Das bedeutet, dass die Bearbeitung der Schieferoberfläche entscheidend für die Qualität der Auswertung ist. Je tiefer die Ritzung in die Oberfläche eingearbeitet wurde, desto deutlicher machen die Aufnahmen die Abbildungen sichtbar. Die Oberfläche wird durch das PLD-System aus verschiedenen Winkeln bis zu insgesamt 180° ausgeleuchtet, dadurch werden die Ritzungen mit unterschiedlichen Schatteneffekten aufgenommen. Infolgedessen kann man ein Objekt mit unterschiedlichen Effekten bzw. Auflösungen darstellen.
Grundsätzlich sind tiefer eingearbeitete Ritzungen im Scan besser darstellbar als in herkömmlichen Fotografien. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass flachere Ritzungen häufig in Fotografien sichtbarer sind als im Scan.
Die Ergebnisse haben gezeigt, dass es in diesem Fall zu einer Art Kreideeffekt kommt. Die Schleifspuren auf den Tafeln lassen vermuten, dass sie mehrfach verwendet wurden. Insbesondere bei figürlichen Darstellungen hat sich zudem gezeigt, dass die PLD-Methode Bilder oder Ritzungen deutlich hervorbringen konnte, die vorher mit dem bloßen Auge oder bei einer herkömmlichen Fotografie kaum zu identifizieren waren.

Grundsätzlich zeigen die Ergebnisse der Scans, dass es sich lohnt, die Objekte einer grafischen Aufarbeitung zu unterziehen. Nach erfolgter Auswertung ermöglicht das System Wissenschaftler*innen größere Datenmobilität sowie eine einfachere Erreichbarkeit der Daten. Ein virtuelles Arbeitsfeld wird errichtet, in dem man leichter mit den schon aufgenommenen Funden operieren und gegebenenfalls individuelle Bewertungen erstellen kann. Dank der Scans wird die wissenschaftliche Bearbeitung der Schieferplatten erheblich erleichtert. Diese erfolgt gerade in einem Forschungsprojekt der Goethe-Universität Frankfurt unter der Leitung von Elisabeth Hollender.
Die Scans machen die Ritzungen nicht nur besser sichtbar, sondern sind auch viel leichter zugänglich als die empfindlichen Originale.
Ein Beitrag von Ertan Özcan, Archäoinformatiker bei der Archäologischen Zone der Stadt Köln.
Das Team Archäoinformatik benutzt die Anwendung von Informationstechnologie und digitalen Medien für die Archäologie. Ihre Aufgabe umfasst unter anderem die Verwendung von digitaler Fotografie, 3D-Rekonstruktion, virtueller Realität und geografischen Informationssystemen (GIS), die Daten werden mittels computergestützter Analysemethoden erfasst. Das Team ist nicht nur verantwortlich für die Digitalisierung der analogen Grabungsdaten, sondern archiviert auch die wissenschaftlichen Dokumentationen langfristig und nachhaltig. Dank der innovativen Forschungsprojekte mit den experimentellen Techniken bleibt das Team der Archäologischen Zone immer auf dem aktuellen Stand der intelligenten Methoden. Die Kolleg*innen sind gut vernetzt mit den Kölner Kulturinfomatiker*innen und entwickeln Anwendungen, die die Opendata-Kultur unterstützen.
Beitragsbild © Christina Kohnen / Stadt Köln
Erläuterungen
[1] RTI-Scan (Reflectance Transformation Imaging). https://www.wikiwand.com/en/Polynomial_texture_mapping
[2] University of Leuven: Onderzoeksgroep Nabije Oosten Studies, Blijde-Inkomststraat 21, 3000 Leuven (Belgium)
[3] E. Özcan M.A., U. Schikowski M.A., E. Wojewoda B.A.
Hoch spannend, vielen Dank.
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