Jedes Jahr findet Anfang April der sogenannte Tag der Provenienzforschung statt. Der Aktionstag gibt Institutionen und Akteur*innen Gelegenheit, auf eigene Projekte und Aktivitäten in der Herkunftsforschung aufmerksam zu machen und diese einem breiten, interessierten Publikum zugänglich zu machen.


Behind the Scenes: Beim Dreh mit den Expert*innen im Wallraf-Richartz-Museum. © Samantha Bornheim / MiQua
Wer steckt hinter der Kölner Provenienzforschung?
Anlässlich des 7. Tages der Provenienzforschung blicken wir auf eine spannende Kooperation mit dem Dezernat für Kunst und Kultur der Stadt Köln und dem NS-Dokumentationszentrum Köln. Denn die Provenienzforschung spielt auch in der gemeinsamen Web-App „Zwischen den Häusern“ eine Rolle: Im Wallraf-Richartz-Museum hat ein Produktionsteam des LVR-Zentrum für Medien und Bildung in Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden des MiQua ein Expert*innen-Interview aufgenommen.
Gesprächspartner*innen sind die Kunsthistorikerin Dr. Britta Olényi von Husen und der Historiker Dr. Marcus Leifeld, die beide im Dezernat für Kunst und Kultur der Stadt Köln arbeiten und hier verantwortlich sind für die Herkunftsforschung. Im Video erläutern sie, welche Aufgaben sie übernehmen. Einen kleinen Einblick gibt dieses Vorschauvideo:
Auch in diesem Jahr beteiligen sich wieder viele Kölner Institutionen am Aktionstag. Hierzu zählen neben den verschiedenen Dienststellen des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) auch das Historische Archiv der Stadt Köln mit Rheinischem Bildarchiv, das Museum für Angewandte Kunst, Museum Schnütgen und Rautenstrauch-Joest-Museum sowie das Kölnische Stadtmuseum.
Doch was steckt hinter dem Begriff Provenienz und inwieweit beschäftigt sich die Forschung damit?
Noch immer befinden sich in den Sammlungen vieler Museen Objekte und Werke, deren Provenienz – also Herkunft – nicht oder nicht vollständig geklärt ist. In wessen Eigentum befanden sich die Werke früher und wie gelangten sie in die Museen? Handelt es sich womöglich um „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“? Diese Fragen werden im Rahmen der Provenienzforschung so differenziert wie möglich geklärt, um auf dieser Grundlage eine Rückgabe der Werke an die jüdischen Verfolgten des Nationalsozialismus als rechtmäßige Eigentümer*innen vornehmen zu können. Denn die Enteignung und wirtschaftliche Ausbeutung von Jüdinnen und Juden in den 1930er und 1940er Jahren war fester Bestandteil der nationalsozialistischen Ausgrenzungspolitik und ist daher untrennbar mit der Beraubung, Verfolgung und Ermordung europäischer Jüdinnen und Juden verbunden. Unter ihnen waren zahlreiche Künstler*innen, Kunstsammler*innen oder -händler*innen. Bis heute sind die Auswirkungen der unter dem Druck der Verfolgung veräußerten oder beschlagnahmten Kulturgüter in den privaten und auch musealen Sammlungen sichtbar. Eine umfassende kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Beständen muss daher als eine der zentralen Aufgaben aller Institutionen gelten. Provenienzen müssen nicht nur für die bestehenden Sammlungsobjekte geklärt werden, auch bei Neuerwerbungen ist dieser Aspekt der Objektbiografie zu prüfen. Dabei geht es aber nicht nur um die Klärung von möglicherweise unrechtmäßigen Besitzverhältnissen und die Frage nach Ansprüchen auf eine Restitution. Die Provenienzforschung trägt auch dazu bei, weiterführende Erkenntnisse über die Geschichte der jeweiligen Institution und ihre Sammlungsaktivitäten zu gewinnen.
Ein internationaler Meilenstein: Die Washingtoner Erklärung
Bereits unmittelbar nach der Schoa kamen in der Öffentlichkeit energisch geführte, gesellschaftliche Debatten über mögliche Restitutionen auf. Überlebende und Angehörige von Opfern der Schoa konnten zwar Ansprüche rechtlich geltend machen und Werke zurückfordern, doch nicht selten fehlten historische Dokumente zur Untermauerung ihrer Ansprüche. Und immer wieder mussten sie gegen erhebliche Widerstände ankämpfen. Noch schwieriger waren Fälle, in denen die ursprünglichen und rechtmäßigen Eigentümer*innen durch die Nationalsozialist*innen ermordet wurden oder Überlebende nicht ermittelt werden konnten. Seit Ende der 1960er Jahre konnten keine Anträge auf Rückgabe oder Entschädigung mehr gestellt werden. Erst rund fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs führten erneute Diskussionen schließlich 1998 zu einer internationalen Konferenz, die als Ergebnis die sogenannten Washingtoner Prinzipien in einer gemeinsamen Erklärung hervorbrachte. Die beteiligten Nationen und Organisationen verpflichteten sich damit, Werke zu identifizieren, die während des Nationalsozialismus entzogen und nach dem Krieg nicht restituiert wurden. Es gilt die rechtmäßigen Besitzer*innen ausfindig zu machen und „gerechte und faire Lösungen“ für die Kunstwerke zu finden.
Weltweite Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf Kölner Sammlungen
Die „Washingtoner Erklärung“ hatte zur Folge, dass auch Kölner Institutionen ihre Sammlungen prüften. Eine besondere Rolle übernahm in diesem Zusammenhang das Wallraf-Richartz-Museum. Insbesondere Werke, die zwischen 1933 und 1945 erworben wurden, werden im Rahmen der systematischen Provenienzforschung genauer untersucht. Wichtige Grundlagen hierfür bilden Inventarbücher oder alte Bestandskataloge. 1999 wurde eine erste Rückgabe durchgeführt: Das Werk „Zwei weibliche Halbakte“ von Otto Müller befand sich von 1946 bis 1976 in der Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums und wurde mit Gründung des Museum Ludwig an diese Institution überwiesen. Nach der Rückgabe des als Raubkunst identifizierten Gemäldes einigten sich die rechtmäßigen Besitzer*innen und das Museum auf einen Ankauf, sodass das Werk immer noch im Museum Ludwig zu sehen ist.
Da es insgesamt um eine systematische Erforschung der bestehenden Sammlungen geht, mussten entsprechende Strukturen eingerichtet werden: Seit 2007 kümmern sich – inzwischen zwei – Mitarbeiter*innen des Dezernats für Kunst und Kultur der Stadt Köln um die wissenschaftliche Bearbeitung der städtischen Sammlungen, ihrer Objekte und Provenienzen.

Mehr zu Provenienzforschung ab Mai in der App „Zwischen den Häusern“
Das vollständige Expert*innen-Interview ist ab dem 18. Mai 2025 in der gemeinsamen App „Zwischen den Häusern“ des MiQua und des NS-DOK im Rahmen der Station „Wallraf-Richartz-Museum“ auf der neuen Route zu „Kultur und Bildung“ zu finden. Schon jetzt führt das Angebot Nutzer*innen an Kölner Orte, die – nicht immer offensichtlich – mit jüdischer Geschichte verbunden sind. Einer dieser Orte ist auch das Wallraf-Richartz-Museum. Interviews mit Expert*innen und Zeitzeug*innen, historische Fotografien, Dokumente und Originalaufnahmen laden zu einer abwechslungsreichen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Geschichten ein.

Am 18. Mai erweitern wir das bestehende Angebot um eine Vielzahl an neuen Inhalten: Neue Stationen rücken weitere spannende Geschichten in den Fokus, diesmal rund um die Themen „Kultur und Bildung“. Wir laden herzlich ein zum Gespräch mit dem Team hinter dem Projekt und anschließenden Führungen zu ausgewählten Stationen. Die Vorstellung beginnt um 12 Uhr. Die Führungen starten im Anschluss um 14 Uhr und 15 Uhr in deutscher Sprache sowie um 16 Uhr auf Englisch. Der Eintritt ist frei. Um Anmeldung an miqua@lvr.de wird gebeten.
Alle Informationen zum Programm im MiQua:forum sind hier zusammengestellt.
Ein Beitrag von Samantha Bornheim, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Bildung und Vermittlung des MiQua.