Franz Orgler:

Wie der Sport sein Leben nicht nur prägte, sondern auch rettete.

Ausgrenzung und Anfeindung machten zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch vor dem Sport nicht Halt. Jüdische Vereine wie der JTV 02 oder SC Hakoah in Köln wurden immer mehr zu wichtigen und sicheren Rückzugsorten für viele Sportler*innen. Einer von ihnen war Franz Orgler (1914–2015). Laufen war seine Leidenschaft und die führte ihn bis an die Spitze.

„…ehrlich gesagt, maßlos übertrieben, so gut war ich nicht.“

Franz Orgler wurde im August 1914 in eine hoch angesehene Familie hineingeboren und wuchs im heutigen Wuppertaler Stadtteil Barmen auf. Wie viele andere Familien in Wuppertal zu diesem Zeitpunkt verstanden auch sie sich als liberal, lebten die jüdischen Traditionen also nicht besonders streng aus. Mit 17 Jahren entschied sich Franz Orgler, dem Verein Schwarz-Weiß Barmen beizutreten und verzichtete darauf, Mitglied in einem jüdischen Sportverein zu werden. Er trainierte in der Leichtathletikabteilung des Vereins und machte schnell mit Bestleistungen auf sich aufmerksam. So zum Beispiel bei den Deutschen Jugendmeisterschaften 1933, bei denen er die 400 Meter in 50,6 Sekunden, die 800 Meter in 1:58,8 Minuten zurücklegte – sein erster großer Erfolg, der eine vielversprechende Karriere vermuten ließ.

Ein junger Mann läuft durch das Zielband. Auf seinem Trikot ist der Davidstern aufgenäht. Neben der Ziellinie stehen ein Junge und zwei Männer. Im Hintergrund verfolgen weitere Zuschauer*innen den sportlichen Wettkampf.
Franz Orgler beim Internationalen Sportfest des Berliner Makkabi auf dem Sportplatz Grunewald, Berlin 16. Juni 1935. Foto: © Jüdisches Museum Berlin, Inv. Nr. FOT 88/500/93/001, Ankauf aus Mitteln der Stiftung Deutsche Kassenlotterie Berlin

Doch wie viele andere jüdische Sportler*innen sah sich Franz Orgler ab 1933 mit zunehmender Ausgrenzung konfrontiert. Auch wenn sein Verein Schwarz-Weiß Barmen ihn „erst“ 1935 fallen ließ, begann Franz Orgler bereits im Herbst 1933 auch für SC Hakoah Köln zu laufen. Wenig später war er entscheidend an der Gründung von Hakoah Wuppertal beteiligt und startete ab Sommer 1934 nun für diesen. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in der erweiterten deutschen Spitze – insbesondere auf den 400 und 800 Meter-Strecken – und galt deshalb auch als vielversprechender Kandidat für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Nach seiner Teilnahme an zwei Vorbereitungslehrgängen wurde er am 1. Juli 1934 sogar Teil des Olympia-Kernteams. Nur wenige Monate später stand fest, dass für Orgler keine realistische Chance mehr auf eine Teilnahme an diesem sportlichen Highlight bestand.

Ein Star aus dem Makkabi-Kreis

Stattdessen bereitete sich Franz Orgler intensiv auf einen anderen internationalen Wettkampf vor: 1935 reiste er als Teil der deutschen Delegation zur Maccabiah ins heutige Israel und wurde im Stadion in Tel Aviv zweiter über 800 Meter.

Im Zentrum des Plakats steht ein Athlet mit weißer Sportkleidung und einem Davidstern auf dem Oberteil. Hinter seinem Kopf ist ebenfalls ein Davidstern als Grafik. Unter dem Athleten stehen Infos zu der Veranstaltung.
Plakat der zweiten Maccabiah, die vom 2. bis zum 7. April 1935 in Tel Aviv stattfand. © via Wikimedia Commons
Im Zentrum des Bildes ein Schild auf dem unter anderem „Gate 1“ steht. Links und rechts neben dem Eingang steht jeweils eine große Figur eines Athleten beziehungsweise einer Athletin. Auch verschiedene Flaggen rahmen den Eingang. Im Eingangsbereich stehen mehrere Personen.
Tor zum Stadion in Tel Aviv. © Israel State Archive via Wikimedia Commons
Mehrere Menschen in einheitlicher Kleidung bewegen sich im Bild. Vorneweg läuft eine Frau mit einem Schild, auf dem „Deutschland“ in englischer und hebräischer Sprache zu lesen ist.
Die deutsche Delegation bei der 2. Maccabiah in Tel Aviv. © Government Press Office via Wikimedia Commons
Mehrere Menschen in einheitlicher Kleidung bewegen sich im Bild. Vorneweg läuft ein Mann mit einer weißen Flagge mit Makkabi Logo darauf.
Die deutsche Delegation bei der 2. Maccabiah in Tel Aviv. © University of Haifa Younes & Soraya Nazarian Library via Wikimedia Commons

Er reiste trotz der Warnungen seines Trainers zum Wettkampf. Die Folgen trafen Orgler schwer: Nach seiner Rückkehr ging er noch einmal zum Training, wurde jedoch von seinen Trainingspartner*innen gemieden. Von diesem Moment an konnte er nicht mehr für seinen Verein in Barmen starten.

In den jüdischen Vereinen war er nicht mehr nur Läufer, sondern übernahm teilweise auch Aufgaben als Trainer. Parallel zu seinen läuferischen Aktivitäten bereitete er sich auf eine mögliche Auswanderung vor. 1937 emigrierte er im Rahmen eines Hachschara-Programms mithilfe von Makkabi nach Schweden. Hier lief er für verschiedene Vereine – später auch Makkabi Stockholm – und entging zwischenzeitlich einer Abschiebung nach Dänemark. Franz Orgler blieb in Schweden und verstarb dort 2015.

(K)Eine Erinnerung an Franz Orgler

Doch warum gab es über Jahrzehnte hinweg keine Erinnerung an das Lauftalent Franz Orgler? Die Gründe hierfür werden schnell offensichtlich: Wie viele andere jüdische Sportler*innen sah sich Franz Orgler ab 1933 mit großen Herausforderungen im Zusammenhang mit der frühen nationalsozialistischen Ausgrenzungs- und Entrechtungspolitik konfrontiert. Auch im Sport finden sich zahlreiche Beispiele für „vorauseilenden Gehorsam“, zum Beispiel antisemitische Maßnahmen in Vereinen oder Verbänden, für die es von Seiten des nationalsozialistischen Regimes zu diesem Zeitpunkt noch keinen Erlass oder Ähnliches gab. Dennoch wurden jüdische Mitglieder teilweise bereits im Frühjahr 1933 aus ihren Vereinen ausgeschlossen oder Vorstände von ihren Aufgaben entbunden. Das Aufrechterhalten eines leistungsorientierten Trainings- und Wettbewerbsbetriebs war unter diesen Umständen kaum noch möglich, das zeigt auch die Biografie von Franz Orgler. Darüber hinaus war eines der Ziele der Nationalsozialist*innen in Zusammenarbeit mit den Vereins- und Verbandsverantwortlichen, jegliche Anerkennung in Form von Leistungseinträgen oder Veröffentlichungen und damit auch jede Erinnerung an verdiente jüdische Sportler*innen aus Publikationen und der öffentlichen Wahrnehmung zu streichen. Dies betraf durchaus auch populäre Fußballer wie Julius Hirsch oder Gottfried Fuchs. Umso wichtiger ist es, dass heute durch Forschungsprojekte wie das der Leibniz-Universität Hannover und vielfältige Initiativen inner- und außerhalb des Sports an die Leistungen und Lebensgeschichten erinnert wird.

Franz Orgler im MiQua

Er war ein Läufer mit Potenzial – wahrscheinlich sogar einer Qualität für Olympia – dennoch ist Franz Orgler weitestgehend unbekannt. Erst die Forschungen der Sporthistoriker Prof. Dr. Lorenz Peiffer und Dr. Henry Wahlig brachten Franz Orgler in das Bewusstsein einer (öffentlichen) Auseinandersetzung und lieferten, unter anderem mit einem Interview im Jahr 2010, wertvolle Einblicke in die Lebensgeschichte des Sportlers.

In der zukünftigen Dauerausstellung des MiQua wird Franz Orgler zusammen mit den Lebensgeschichten weiterer Persönlichkeiten, die in den vergangenen 600 Jahren in Köln gelebt oder gewirkt haben, vorgestellt. Teil der Präsentation wird auch eine Hörstation mit einem Ausschnitt aus dem Interview der genannten Sporthistoriker, über den Besucher*innen einen Einblick in das bewegte Leben des talentierten Läufers erhalten werden.

Vortrag im MiQua:forum

Am 17. April stellten MiQua-Direktor PD Dr. Thomas Otten und Samantha Bornheim, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Bildung und Vermittlung des MiQua, die Lebensgeschichte von Frau Orgler, seine Leistungen als Mittelstreckenläufer und seine Verbindung zur jüdischen Sportbewegung Makkabi im MiQua:forum vor. Den Vortrag gibt es ab sofort in voller Länge auf unserem YouTube-Kanal.

Hier geht’s zum Video! https://youtu.be/pzeHxZ5_WgM

Ein Beitrag von Thomas Otten und Samantha Bornheim aus dem MiQua-Team.

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