Der Brief von 321 und Köln

Um 300 führte man im römischen Reich zahlreiche neue Ordnungs- und Verwaltungsprinzipen ein. Darunter sind auch Sammlungen zu Rechtstexten, erlassen an verschiedenen Orten von immer neuen Kaisern in dem gewaltigen Herrschaftsgebiet. Einzelne Städte konnten sich mit Rechtsfragen an den Herrscher wenden, der dann neue Gesetze erließ. So entstand vielleicht auch der Brief des Kaisers an die Ratsherren von Köln vom 11.12.321 aufgrund einer vorherigen Anfrage aus Köln, möglicherweise aber auch aus einer anderen Stadt im römischen Reich. Erhalten blieb ja nur die Antwort des Kaisers, also der Ausschnitt aus einem längeren Brief, der über ein im ganzen Reich gültiges Gesetz berichtet. Es ist in einer Abschrift des Codex Theodosianus überliefert, einer Gesetzessammlung, angelegt unter Kaiser Theodosius II. (408–450). Die älteste bekannte lateinische Kopie, stammt aus dem 6. Jahrhundert und befindet sich heute in Rom, in der Bibliothek des Vatikan. Die ursprüngliche Gesetzessammlung dürfte in Konstantinopel zusammengestellt worden sein. Welches Archivmaterial man dabei benutzte und woher es kam, kann heute nicht mehr nachvollzogen werden, vielleicht aus einem privaten Archiv. Der die Juden betreffende Brief von 321 ist jedenfalls in der seinerzeit nach Köln versandten Fassung in die Sammlung aufgenommen worden.

Reg. lat. 886, f. 435v, © Biblioteca Apostolica Vaticana

Der Text lautet in der Übersetzung des Althistorikers Hartmut Leppin:

„Derselbe Kaiser (Konstantin) an die Kölner Ratsherren.
Wir gestehen allen Stadträten mit einem allgemeinen Gesetz zu, Juden in den Rat zu berufen. Damit aber zu ihrem Trost etwas von dem alten Brauch bleibt, gestatten wir mit einem immerwährenden Privileg, dass je zwei oder drei von ihnen durch keine Nominierungen in Anspruch genommen werden.

Gegeben am 11. Dezember 321“

Juden konnten damit bis auf wenige ihnen zugestandene Ausnahmen für die Pflichten, um die sich die Stadtverwaltung zu sorgen hatte, in Anspruch genommen werden. Für die Juden war es also ein unbequemes Gesetz. Vielleicht hatte sich in einer Stadt ein dort wohnender Jude den Missmut seiner Mitbürger zugezogen und damit die Anfrage an den Kaiser provoziert. Vielleicht war es auch eine Gruppe von jüdischen Menschen, die in den Focus ihrer Mitbürger geriet. Im Übrigen liefert der Brief aber nur eine Momentaufnahme. Falls ein römisches Gemeinwesen zum Beispiel im Spätsommer 321 die Anfrage an den Kaiser gesandt hätte, dieser im Dezember das Gesetz erließ und die Ausfertigung dann versandte, könnten bei Ankunft des Gesetzes in den Städten im Geltungsbereich des römischen Rechts diejenigen jüdischen Bürger, auf die man sich ursächlich bezogen hatte, den Ort bereits wieder gewechselt haben. Das gilt erst Recht falls die Aufzeichnung des Briefauszuges aus einem privaten Archiv stammte und zu juristischen Zwecken mit einem bestimmten Hintergrund aufgezeichnet worden wäre. Zu eng darf man also die Aussagemöglichkeiten zu dieser Quelle nicht fassen. Sicher gab es aber überall im spätrömischen Reich jüdische Menschen, auf die solche Gesetzesvorgaben anzuwenden waren. Auch in anderen Gesetzen der Spätantike kommen Synagogen und Juden immer wieder vor. Sie gehören zu der normalen Mischung der ethnisch und religiös vielfältigen spätantiken Stadtbevölkerungen. Das gilt mehr oder weniger für alle römischen Provinzen.

Der Text von 321 belegt, dass es mindestens einen oder auch mehrere Juden in der Stadt gab, aufgrund derer das Gesetz verfügt wurde. Von einer Gemeinde oder Kultstätten ist darin nicht die Rede. Die gab es aber natürlich überall im römischen Reich. Wenn sich jedoch eine jüdische Gemeinde des 4. Jahrhunderts versammelt haben sollte, dann wird sie das vielleicht auch in einem umfunktionieren Wohnhaus getan haben. Wenn das so ausgestaltete Haus wieder aufgegeben wurde, bleibt eine mögliche kultische Nutzung heute archäologisch unerkannt. Zu Beginn der aktuellen Ausgrabungen am Rathausplatz in Köln deutete man auch archäologische Baureste als spätantike Synagoge und Mikwe. Datierung und Funktionsdeutung sind nach aktueller Untersuchung aber anders zusammenzufassen: Die älteste bisher ausgegrabene Kölner Synagoge stammt aus dem frühen 11. Jahrhundert.

Verbreitungskarte zu jüdischen Quellen der Spätantike,
Bild: Christoph Duntze/LVR-Landesmuseum Bonn nach Angaben Sebastian Ristow / LVR

Die Verbreitungskarte zu den frühen jüdischen Quellen zeigt für den deutschsprachigen Raum und die Nachbarregionen nur spätantike Einträge. Mit einem Gebäude in Augsburg in dem eine Wandmalerei mit Darstellung aus dem Alten Testament gefunden ist, könnte eine frühchristliche Kirche oder auch eine Synagoge vorliegen. Es bleibt aber der einzige Baubefund. Die schriftliche Überlieferung zum Judentum setzt dann erst am Ende des 1. Jahrtausends neu ein. Zwischen dem 4. und 10. Jahrhundert deuten keine Quellen eine Kontinuität jüdischen Lebens im Bereich der Karte an. Das Gros jüdischer Sachquellen ist dort erst aus dem Hoch- und Spätmittelalter sowie vor allem ab der frühen Neuzeit bekannt.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Sebastian Ristow, Wissenschaftlicher Referent für die Archäologie des 1. Jahrtausends im MiQua.

5 Kommentare Gib deinen ab

  1. Johannes Wachten sagt:

    Prägnante, kompakte Zusammenfassung des Forschungsstandes

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  2. Team MiQua sagt:

    Vielen Dank für das positive Feedback! Herzliche Grüße S.B.

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  3. Andreas Neumann sagt:

    Super! Ob die das Schreiben anregende Initiative von Köln ausging ist ungewiss. Und genauso, ob es im 4. Jh. eine größere jüdische Gemeinde in Köln gab. Möglcherweise ist der Anlass des Schreibens, dass die Kölner darauf hingewiesen werden mussten, dass das Gesetz auch für sie gilt. Leider mit dem Inhalt, dass Zwangsrekrutierungen rechtens seien, wenn ich richtig verstanden habe. In mancher Hinsicht scheint Geschichte ein Loop zu sein. Bin gespannt auf die Diskussion – und die Eröffnung des Museums 2023, oder 2024.

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    1. Team MiQua sagt:

      Besten Dank für Ihr Feedback! S.R.

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